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Lerngegenstand, Lernkulturen und Bildungsaktivismus: Künstliche Intelligenz (KI) in der gemeinwohlorientierten Weiterbildung − ein Fachgespräch

v. re. Heike Maschner, Prof. Dr. Hans-Ulrich Baumgarten, Sabine Höring, André Gerth, Martina Engels, Nele Hirsch, Dr. Gerald Gapski, Wolfgang Hesse, Dr. Peter Brandt, Prof. Dr. Dennis Klinkhammer, Pia Schwarz, Dr. Martin Schoser

Die Landesarbeitsgemeinschaft für Katholische Erwachsenen- und Familienbildung in Nordrhein-Westfalen lud am 9. November 2023 in Köln zu einem Fachgespräch zum Thema „Künstliche Intelligenz (KI) in der gemeinwohlorientierten Weiterbildung“ ein. Die Teilnehmenden, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Bereiche wie Politik, Wissenschaft, Forschung, Bildungspraxis, Verwaltung, Verband und Öffentlichkeitsarbeit, kamen zusammen, um im Rahmen einer Entwicklungswerkstatt gemeinsam Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Anlass war die aktuelle und sicherlich auch zukünftige Relevanz von Künstlicher Intelligenz in der Erwachsenenbildung. In einer Zeit, in der technologische Entwicklungen rasant voranschreiten, wird deutlich, dass KI nicht nur ein Schlagwort ist, sondern eine tiefgreifende Auswirkung auf Bildungsinstitutionen hat. Die Integration von KI kann Lehr- und Lernmethoden transformieren und die Art und Weise, wie Menschen Wissen aufnehmen und verarbeiten, verändern. Daher ist die strategische Entwicklung von KI in der Pädagogik von grundlegender Bedeutung, um die Chancen dieser Technologie optimal zu nutzen und potenzielle Herausforderungen zu bewältigen.

Die Veranstaltung begann mit einer kurzen Vorstellungsrunde. Mitgewirkt haben, Prof. Dr. Hans-Ulrich Baumgarten (Abteilungsleiter Weiterbildung und politische Bildung, Ministeriums für Kultur und Wissenschaft), Dr. Peter Brandt (Wissenstransfer, Deutsches Institut für Erwachsenenbildung),  Martina Engels (LAG KEFB), Frauke Eule (MKW),  Dr. Gerald Gapski (Grimme-Institut), André Gerth (Fachbereich Erwachsenen- und Familienbildung, Generalvikariat des Erzbistums Köln), Wolfgang Hesse (Vorsitzender,LAG KEFB), Sabine Höring (Leiterin Katholisches Bildungsforum Leverkusen), Prof. Dennis Klinkhammer (Professur für empirische Sozialforschung, FOM Hochschule Köln), Heike Maschner (MKW), Dr. Martin Schoser (Geschäftsführer, LAG KEFB) und Pia Schwarz (LAG KEFB). Der eigentliche Einstieg erfolgte durch einen partizipationsorientierten Austausch über KI. Jede Person erhielt eine Karte mit einem fiktiven KI-Statement. Diese Karten dienten als Ausgangspunkt für Diskussionen, in denen die Teilnehmenden ihre Positionen zu den erhaltenen Statements austauschten. Dieser methodische Ansatz förderte nicht nur den Dialog, sondern ermöglichte auch einen breiten Überblick über die verschiedenen Meinungen und Perspektiven innerhalb der Gruppe.

Nach diesem Austausch schloss sich ein kurzer Impuls zum Einstieg in das Thema Künstliche Intelligenz an, bei dem Bilder mit Erläuterungen in die Diskussion eingebracht wurden. Diese visuellen Impulse sollten dazu dienen, verschiedene Aspekte von KI zu veranschaulichen.

Diese Bilder und Erläuterungen wurden vorgestellt:

●     Zauberhut und Hexenbesen: KI ist eher gesellschaftliches Narrativ denn treffende technische Beschreibung. Im historischen Kontext war KI immer das, was gerade so technisch möglich war oder gerade auch noch nicht. KI droht in der gesellschaftlichen Debatte immer mystifiziert zu werden, „menschenähnliche Roboter“, die versuchen, die Weltherrschaft an sich zu reißen, sind ein beliebtes Thema in Science-Fiction-Geschichten.

●     Stochastischer Papagei: In der aktuellen KI-Debatte geht es vorrangig um große Sprachmodelle. Das Bild eines „stochastischen Papageis“ von Emily Bender kann beim Verständnis zu ihrer Funktionsweise helfen. Wichtig ist vor allem, dass es im Kern um Wahrscheinlichkeitsberechnungen auf Basis von riesigen Datenmengen geht.

●     Suppe: Tools wie ChatGPT können zugleich mehr, als man von einem stochastischen Papagei erwarten würde. Insbesondere würfeln sie nicht nur aus, was am Ende eines Satzes am besten passt, sondern betrachten jeden einzelnen Bestandteil eines Prompts. Man kann sich das ein bisschen wie beim Kochen von Suppe vorstellen. Es gibt ganz viele unterschiedliche Zutaten – und aus der Zusammenstellung all dieser Zutaten entsteht dann ein Output, d. h ein Geschmack. Es kann aber durch minimale Änderungen (z. B. ein Teelöffel Zitronensaft) auch etwas ganz anderes dabei herauskommen.

●     Werbewand: KI wird sehr wahrscheinlich unser gesamtgesellschaftliches Zusammenleben und die Bildung in den nächsten Jahren prägen. Deshalb ist KI nicht nur ein Hype. Zugleich ist die aktuelle Debatte aber mindestens von Marketing geprägt. Jeden Tag ploppen neue Tools auf, die insbesondere auch Lehrende und Lernende als potenzielle Kund*innen sehen.

●     Klick-Arbeiter: KI ist nicht einfach nur Technologie, sondern basiert maßgeblich auf menschlicher Arbeitskraft. Dazu gehört insbesondere die Arbeitskraft von Menschen, deren von ihnen entwickelten Inhalte als Datenbasis genutzt wurden, die Arbeitskraft von Programmierer:innen und die Arbeitskraft von Klick-Arbeiter*innen, die damit beschäftigt sind – meist zu miesen Arbeitsbedingungen und im globalen Süden –, schlechte Inhalte herauszufiltern und die Maschinen auf Inhalte zu trainieren.

Die einzelnen Bildimpulse waren mit dem KI-Tool Midjourney generiert. So wurde zugleich erlebt, wie KI-Nutzung in der Praxis aussehen kann. 

Nach diesem Einstieg erfolgte eine gesamtgesellschaftliche Einordnung von KI. Ein Gallery Walk, bei dem Bilder mit kurzen Untertiteln präsentiert wurden, ermöglichte es den Teilnehmenden, verschiedene gesellschaftliche Konsequenzen von KI untereinander zu diskutieren. Dieser partizipative Ansatz förderte nicht nur den Austausch von Ideen, sondern trug auch dazu bei, ein kollektives Verständnis für die breiten Auswirkungen von KI zu schaffen.

Der Gallery Walk fokussierte sich auf mehrere Schlüsselaspekte:

●     Künstliche Intelligenz ist eine von Menschen gemachte Technologie, die weder gut noch böse ist, sondern von der Gestaltung abhängt.

●     Die pädagogische Zielsetzung sind klügere Menschen, nicht klügere Maschinen. Maschinen können als Hilfsmittel zur Förderung von Wissensbildung genutzt werden.

●     Der Druck auf menschliche Arbeitskraft durch die prognostizierte Ersetzbarkeit von Menschen durch KI wird steigen.

●     KI-Technologie ist verantwortlich für eine immense Ressourcenverschwendung durch hohen Energieverbrauch.

●     KI-Tools verfestigen bestehende gesellschaftliche Strukturen. Unter anderem werden Stereotype reproduziert.

●     Die Datenbasis und die Filtermechanismen von vorherrschenden KI-Tools sind nicht transparent. Sie können nicht demokratisch gestaltet werden.

●     Ungleichheit kann sich durch den kostenpflichtigen Zugang zu fortschrittlichen KI-Technologien vergrößern. Wer mehr Geld hat, kann sich mehr KI-Unterstützung kaufen.

Dieser Rahmen ermöglichte es den Teilnehmenden, verschiedene Dimensionen von KI zu diskutieren und ihre Perspektiven auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu erweitern. Die Diskussionen stellten die Grundlage dar, um darauf aufbauend gemeinsam an der Entwicklung von Handlungsempfehlungen zu arbeiten.

Die Entwicklung begann mit einer kreativen Übung zur Erstellung von „Personas“ aus der Weiterbildung. Die Teilnehmenden wurden aufgefordert, idealtypische Lernende zu entwerfen, inklusive Name, Alter, Tätigkeit und besonderer Charakteristika.

Nach der Persona-Übung wurden die Teilnehmenden in Dreiergruppen aufgeteilt. Jede Person stellte den anderen beiden ihre entwickelte Persona vor und drehte sich dann mit dem Rücken zu ihnen. Die anderen beiden beratschlagten gemeinsam, welche Kompetenzen für die vorgestellte Persona in einer zunehmend von KI geprägten Welt wahrscheinlich wichtiger werden und wie sie entwickelt werden können. Während dieser Beratschlagung hörte die erste Person zu und hielt für sich auf Metaplankarten bis zu drei Aspekte fest, die in der Weiterbildung getan werden müssten, damit solch eine Kompetenzentwicklung gelingen kann. Anschließend wurden die Rollen getauscht, sodass jede Person am Ende bis zu drei Metaplankarten mit wichtigen Aspekten zur Berücksichtigung in einer KI-Strategie hatte. Um eventuelle Dopplungen zu umgehen, fassten die Teilnehmenden zunächst in Zweiergruppen und dann in Vierergruppen ihre Karten, wo möglich, zusammen.

Alle Karten wurden in eine virtuelle Arbeitsumgebung zur weiteren Ausarbeitung übertragen. Genutzt wurde hierfür das Tool Etherpad, das kollaboratives und synchrones Schreiben ermöglicht. Da die noch verbleibende Zeit begrenzt war, lag der Schwerpunkt darauf, Stichpunkte zu den gesammelten Aspekten in den Pads zu notieren. Das Vorgehen sah dabei so aus, dass alle Karten zu Beginn auf einem Kanban-Board in der Spalte „To do“ eingeordnet waren. Die Teilnehmenden konnten sich dann eine Karte nehmen, in die Spalte „Doing“ verschieben, das dazugehörige Pad öffnen und allein oder in kleinen Gruppen ihre Stichpunkte dazu ergänzen. Andere Gruppen konnten daran weiterarbeiten und die Karte dann in die Spalte „Done“ verschieben. Durch dieses Verfahren war sichergestellt, dass sehr schnell möglichst viele relevante Stichpunkte gesammelt werden konnten.

Im Ergebnis wurden die folgenden Aspekte notiert, die in Fachgremien und weitere Diskussionen eingebracht werden:

Aspekt 1: Die Rolle von KI in der gemeinwohlorientierten Weiterbildung ist vielschichtig. KI kann sowohl als Werkzeug für Lehrende und Lernende wie auch als Lerngegenstand und als Impuls für eine Veränderung der Lernkultur betrachtet werden. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema ist für die Bildungspraxis, Verwaltung, Wissenschaft, Forschung und Politik von entscheidender Bedeutung.

Aspekt 2: Es gibt bereits zahlreiche Initiativen und Angebote im pädagogischen Kontext zu KI. Statt das Rad erneut zu erfinden, ist es sinnvoll, bestehende Angebote zu kuratieren und für die Weiterbildungspraxis nutzbar zu machen. Dabei können auch vorhandene Distributions- und Verbreitungswege, insbesondere der EULE-Lernbereich auf dem Portal wb-web, genutzt werden.

Aspekt 3: Angesichts der aktuellen Entwicklung von KI ist es für Lernende wichtig, ein grundlegendes Verständnis dafür zu entwickeln, wie KI mit Daten lernt, wie falsche Ergebnisse entstehen können und welche Daten Nutzer selbst produzieren (Datenschutz). Lernangebote zum Thema KI können als Querschnittsthema der Medienkompetenz dienen und an bestehende Angebote anknüpfen oder diese erweitern.

Aspekt 4: Es ist festzustellen, dass die Bildungspraxis in Bezug auf die technologische KI-Entwicklung den zu Verfügung stehenden Möglichkeiten oft hinterherhinkt. Die Weiterbildung des pädagogischen Personals ist in diesem Zusammenhang besonders herausfordernd. KI-Kompetenz sollte zu einem bildungsbereichsübergreifenden Bestandteil der pädagogischen Professionalität werden. Dies erfordert neben technischer Kompetenz unter anderem auch die Entwicklung einer Haltung, dass sich Lehrende selbst als kontinuierlich weiter lernende Personen verstehen. Erforderlich ist hierfür unter anderem die Entwicklung von Kompetenzen im Zeitmanagement und der Selbstlernfähigkeit.

Aspekt 5: Ein produktiver Umgang mit KI lässt sich besonders durch eigenes Erkunden und Ausprobieren erlernen. Es könnte eine Tool-Sammlung angeboten werden, die im Bildungskontext einfach und datenschutzkonform ausprobiert werden kann. Wo nötig, müssen dafür entsprechende Zugänge bereitgestellt werden. Eine Prüfung und Einordnung durch die Politik wäre hilfreich, um in der Bildungspraxis Transparenz zu schaffen. Das Fraunhofer-Institut im Bereich Data Science und das DLR mit der Big-Data-Plattform sollten ebenfalls eingebunden werden, da sie gemeinwohlorientierte KI-Tools entwickeln.

Aspekt 6: Neben der konkreten Nutzung von KI-Tools besteht die große Herausforderung darin, die intrinsische Motivation der Lernenden zur Auseinandersetzung mit KI zu fördern. Diese Motivation kann vor allem durch eine gesellschaftliche Reflexion über KI in Lernangeboten entwickelt werden. Dies umfasst Fragen zur Bedeutung der KI-Entwicklung für die eigene Tätigkeit der Lernenden und welche neuen oder veränderten Kompetenzen perspektivisch erforderlich werden. Angesichts der Verunsicherung durch die KI-Entwicklung ist es wichtig, die Tragweite und Folgen der Technologie für die Gesellschaft zu erforschen und zu kommunizieren, damit dies auch im Weiterbildungskontext berücksichtigt werden kann. Das CAIS in NRW ist dafür zuständig, und es sollte keine Doppelstruktur geschaffen werden.

Aspekt 7: Die technologische KI-Entwicklung erfordert auf einer Metaebene eine Reflexion über den Bildungsbegriff, auf dessen Grundlage gemeinwohlorientierte Weiterbildung gestaltet wird. Hinzu kommt die Sinnfrage der Technologie: Welche Bereiche des sozialen Lebens sollten nicht mit KI-Anwendungen automatisiert oder „optimiert“ werden?

Aspekt 8: Debatten, Reflexion und Austausch zwischen verschiedenen Stakeholdern und Anspruchsgruppen zum Thema KI sollten fortgeführt und intensiviert werden. Es gilt, Foren zu schaffen, in denen Entscheidungsträger:innen Interessen aushandeln und einen Rahmen schaffen können, in dem KI sicher, sozial und ökologisch verantwortet und nachhaltig für das Gemeinwohl eingesetzt werden kann. Die KEFB sollte überlegen, welchen profilorientierten Beitrag sie in diesem Dialog leisten kann.

 

Die Veranstaltung endete mit einem schnellen Blitzlicht, das die Wirksamkeit einer kollaborativen Konzeption von Beratschlagungsrunden bestätigt und die Wichtigkeit, eine durchgehende Beteiligung aller Teilnehmenden sicherzustellen. Die Einbeziehung von Menschen mit vielfältigen Perspektiven und Betrachtungsweisen von KI nicht nur als Werkzeug, sondern auch als Lerngegenstand, als Impuls zur Veränderung der Lernkultur und als Teil von notwendigem Bildungsaktivismus wird zur fachlichen Anreicherung der Chancen dieser Technologie und der Bewältigung der potenziellen Herausforderungen beitragen.

 

Nele Hirsch (Dezember 2023)

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